«Hilft es denen ganz unten, wenn es denen ganz oben noch besser geht?» - der «Trickle down-Effekt» funktioniert nicht
Lohnpolitik ist Personalpolitik – Sparen beim Personal der falsche Ansatz
Seit Jahren schwelt im Kanton St. Gallen eine Auseinandersetzung um die Löhne und die Lohnentwicklung des Staatspersonals. Verschärft wurde diese mit der Einführung von «Nelo» im Jahr 2019. Mit Nelo sind automatische Lohnanstiege entfallen, die Departemente erhalten eine bestimmte Quote für individuelle und strukturelle Lohnerhöhungen. Beim Erlass von Nelo ging man davon aus, dass mindestens 0,8 % der Lohnsumme hiefür minimal notwendig seien. In der Zwischenzeit hat die Finanzkommission diese Quote gesenkt auf 0,6 %. Nelo ist also dadurch noch weiter unter Druck geraten. Dazu kommt nun in immer mehreren Bereichen der Fachkräftemangel. Besonders akut ist dieser beim Pflegepersonal, im Bildungswesen, bei der Polizei und im Bauwesen. Statt ein wichtiges positives Zeichen zu setzen, beantragte die Regierung mit 1,7 % nur einen teilweisen Teuerungsausgleich. Die Finanzkommission reduzierte diesen ungenügenden Ausgleich auf 1,5 %. Die Teuerung für das Jahr 2022 beträgt aber 2,8 %. Der Kanton Zürich gewährte seinem Staatspersonal 3,5 %. Das verschärft die ohnehin schwierige Situation auf dem Fachkräftemarkt an den Grenzregionen zu Zürich weiter. Anscheinend lohnt es sich, die Stelle zu wechseln. Die Rede ist bereits von Rückkehrenden aus anderen Kantonen, die dann zu weit besseren Konditionen wieder angestellt werden als wenn sie geblieben wären. Wenn man bedenkt, was ein Personalwechsel für Kosten verursacht, ist das vollkommener Unsinn. Sparen beim Personal hat sich noch nie gelohnt.
Handlungsspielraum selber unnötig eingeschränkt
In der Aufgaben- und Finanzplanung (AFP) für die Jahre 2024 bis 2026 rechnet die Regierung erneut mit deutlichen Defiziten. Dies erstaunt wenig, nachdem die Mehrheit von SVP, FDP und die Mitte/EVP im Kantonsrat eine erneute unnötige Steuerfusssenkung von 5 % für das Budget 2023 beschlossen hatte und damit die Verantwortung trägt für diese horrenden Defizite. Dass der Kanton vor grossen finanziellen Herausforderungen steht, war im Rahmen der Budgetberatung bereits bekannt. Es bleibt abzuwarten, dass aufgrund der sich abzeichnenden Defizite bald wieder die Notwendigkeit von Sparpakten propagiert werden wird. Der damit verbundene Staatsabbau wird wieder Menschen mit tiefen und mittleren Einkommen treffen. Dies hat vor allem die Corona-Pandemie gezeigt, die ohne das Eingreifen vom Bund der Wirtschaft und dem Gewerbe einen massiven wirtschaftlichen Schaden verursacht hätte. Ebenso leiden immer mehr Menschen unter der zu hohen Prämienlast für die Krankenkassenprämien. 6 % beträgt der durchschnittliche Anstieg auf das Jahr 2023. Die Regierung plante aber bei den Individuellen Prämienverbilligungen (IPV) nicht mit mehr Mitteln. Mit Unterstützung der Grünen und der Mitte-EVP lagen dann aber 26 Mio. Franken mehr drin. Dies ist umso wichtiger, als die Prämien-Entlastungs-Initiative weitere 75 Mio. Franken für den Kanton St. Gallen vorsieht und im nationalen Parlament gute Chancen hat, durchzukommen oder den Gegenvorschlag des Bundesrates mit annähernd so vielen Zusatzgeldern zu beflügeln. Ebenso tut sich die Regierung ausserordentlich schwer, die vom Volk angenommene Pflege-Initiative umzusetzen. Sie muss sich aber bewusst sein, dass die vom Bund bereit gestellten Gelder nur fliessen, wenn der Kanton sich ebenso engagiert. Es braucht daher mehr Mittel. Und zwar schon ab 2024.
Sorgenbarometer und die Mär vom «Heruntertröpfeln des Geldes»
Wenn ich mir das Sorgenbarometer von Frau und Herrn Schweizer anschaue, stehen Klima/Energie, Altersvorsorge, Krankenkassenprämien und die Teuerung ganz oben auf der Liste. Dazu passt nämlich mein Plädoyer zum Umgang mit den öffentlichen Finanzen an der Budgetdebatte des Kantonsrates: Die zentrale Frage lautet: «Hilft es denen ganz unten, wenn es denen ganz oben noch besser geht?» Etwa indem man Steuern für Grossverdiener senkt oder generelle Steuersenkungen beschliesst? Die Antwort lautet seit vielen Jahren immer wieder gleich: Nein! Wissenschaftlich fundiert.
Adam Smith hat in seinem Grundlagenwerk «Der Wohlstand der Nationen» 1776 davon geschrieben, wie sich der Reichtum bis zu den «lowest ranks of the people» verteilt, bis ganz unten eben, und seither ist das der Grundsatz konservativer Finanzpolitik: Geht es denen oben gut, dann geht es auch den anderen gut. Man nennt dies den «Trickle down»-Effekt und meint eben das «automatische Heruntertröpfeln des Geldes von denen, die viel haben, zu denen, die wenig haben. Jede finanzpolitische Vorlage wird am Schluss immer mit diesem gleichen Argument begründet. Man konnte es bei der Abschaffung der Stempelsteuer beobachten, man sah es noch eindrücklicher bei der neuen globalen Mindeststeuer für Unternehmen, bei der Bund und Kantone alles unternahmen, damit ja niemand zusätzlich belastet wird. Im Gegenteil: Alt-Bundesrat Maurer forderte gar im Januar 2022 in der «NZZ am Sonntag», die Steuern für Grossverdiener generell zu senken. Im Budget 2022 vor einem Jahr senkte das Kantonsparlament mit diesem Mantra die Steuern dank einem Sparpaket. «Trickle down» funktioniert nicht. Eine aktuelle Untersuchung der London School of Economics and Political Science, die Daten aus achtzehn OECD-Ländern untersucht hat, kommt zu zwei Schlüssen,
1. dass tiefere Steuern für Reiche die Einkommens- und Vermögensungleichheit sogar noch vergrössern.
2. Und dass diese Steuersenkungen auch keinen signifikanten Effekt auf das Wirtschaftswachstum oder die Arbeitslosenrate haben.
Es gibt keinen kausalen Zusammenhang zwischen der bevorzugten Behandlung der Oberschicht und einem Vermögenszuwachs der Unterschicht. Das wurde schon hundertmal gesagt. Wissenschaftlich begründet. Politisch ignoriert. Seit Jahren setze ich mich ein für eine gerechte und solidarische Gesellschaft. So sollten wir endlich über die Einführung einer Erbschaftssteuer diskutieren. 2022 wurden schweizweit 92 Mrd. Franken vererbt. Es würde Sinn machen, diese Gelder moderat und einheitlich zu besteuern. Es würde niemandem weh tun. Wir könnten uns damit aber wichtige Perspektiven schaffen.
Rorschach, 2. Februar 2023
Guido Etterlin